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Kommt der bürger- und genderbewegte Haushalt?

"Unsere Stadt, unser Haushalt, unsere Zukunft", unter diesem Motto stand die Podiumsdiskussion, zu der die Gemeinderatsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen am 22. März ins Staatsarchiv in Ludwigsburg eingeladen hatte.

Die Podiumsgäste waren Silke Rapp, Frauenbeauftragte des Bayrischen Landesverbandes von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied der Gender-Initiative in München, Gerhard Dietz, Bürgermeister der 20.000 Einwohner-Stadt Rheinstetten bei Karlsruhe, und Werner Spec, unser Ludwigsburger Oberbürgermeister. Nach einführenden Worten stellte Stadträtin Roswitha Matschiner als Moderatorin die Frage in den Raum, ob und inwieweit „Bür-gerhaushalt“ und „geschlechtergerechter Haushalt“ Modelle für einen zukunftsfähigen Haushalt in Ludwigsburg sein könnten.

 

Bürgermeister Gerhard Dietz berichtete über das Vorgehen und die Erfahrungen in seiner Stadt. Im Jahr 2000 sei er zum Bürgermeister gewählt worden, noch im gleichen Jahr habe er seinen Gemeinderat dafür gewinnen können, Bürgerinnen und Bürger an der Aufstellung des Haushalts zu beteiligen. Die Sanierung der städt. Haushalte sei ein langwieriger Prozess. In guten Zeiten habe man eine Versorgung aufgebaut, die man sich heute nicht mehr leisten könne. Verwaltung und Gemeinderat täten gut daran, die EinwohnerInnen rechtzeitig mit auf den Weg zu nehmen, damit die Akzeptanz für die nötigen Sparmaßnahmen auch in den nächsten Jahren, wo es noch enger werden wird, da ist. Da selbst erfahrene KommunalpolitikerInnen noch Probleme hätten, das dicke, schwer verständliche Buch zu lesen und zu verstehen, habe man in einem ersten Schritt den Haushalt nur auszugsweise und stark vereinfacht in einer Broschüre dargestellt, die an alle Haushalte verteilt worden sei. Danach seien Verwaltung und Stadträte auf die Straßen und Märkte gegangen. An Infoständen und bei Versammlungen habe man das Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern aktiv gesucht. Flankierend dazu seien Befragungen durchgeführt wor-den, um die Bedürfnisse und Probleme zu erkunden. Die gewonnenen Erkenntnisse und Anre-gungen seien in die Beratung und in die Entscheidungen des Gemeinderates eingeflossen. Ger-hard Dietz ist überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein: „Dieser, zur herkömmlichen Bürgerbe-teiligung, zusätzliche Kosten- und Zeitaufwand hat sich gelohnt. In Rheinstetten haben sich seit-her 500 Personen beteiligt. Man darf für den Anfang nicht zu viel erwarten. Bürgerinnen und Bürger müssen sich an diese Form der Beteiligung erst gewöhnen.“

 

Silke Rapp erläuterte in ihrem Vortrag den Begriff „Gender Budget“. Der Begriff bedeute, bei al-len gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein zu berücksichtigen. Die Stadt München habe sich in ihrem Leitbild zur Geschlechtergerechtigkeit verpflichtet. Auf Antrag einer grünen Stadträtin habe die Verwaltung nun den Auftrag bekommen, alle Ausgaben, insbesondere die zur Zeit erforderlichen Sparmaßnahmen unter diesem Gesichtspunkt zu bewerten. Am Beispiel der Sportförderung zeigte sie auf, dass Jungen in der Regel mehr öffentliche Förderung bekommen als Mädchen. Es sei gang und gebe, dass Frauen von den Sparmaßnahmen mehr getroffen würden als Män-ner. Nahezu selbstverständlich sei es, in typischen Frauendomänen wie Tagesstätten, Kinder-gärten und Büchereien Personal abzubauen und die Aufgaben auf Ehrenamtliche zu verlagern, also in der Regel wieder auf Frauen, aber nun ohne Bezahlung. Rapp: „Diese Selbstverständ-lichkeiten zu hinterfragen, für Geschlechtergerechtigkeit zu sensibilisieren ist notwendig, aber keineswegs einfach. Die Widerstände sind sehr groß.“

 

Widerstand gegen diesen Ansatz ließ auch gleich Werner Spec erkennen. Mit Verspätung ge-kommen gab er sich von Anfang an wenig aufgeschlossen gegenüber Bürgerbeteiligung und Genderaspekt. Die Ausführung von Frau Rapp wertete er als Angriff auf das Ehrenamt, das es doch gerade jetzt zu fördern gelte.

 

Zu Bürgermeister Dietz gewandt, meinte er: „Ich sehe keinen Sinn darin, den Haushalt als Bro-schüre unter die Leute zu bringen und ich lasse mir die herkömmlichen Haushaltsberatungen nicht verteufeln!“ Was den Kollegen aus Rheinstetten veranlasste, zu versichern, er habe seinem Kollegen weder zu nahe noch auf die Füße treten wollen. „Ob Ludwigsburg dem Modell Bürger-haushalt folgen will oder nicht, ist mir im Grunde völlig egal. Ein Bürgerhaushalt ist nicht zu ma-chen, wenn nicht alle, Verwaltung und Gemeinderat dahinter stehen.“ Jede Kommune müsse sich aber klar sein, dass sich die finanzielle Lage weiter zuspitzt. Wer hier nicht rechtzeitig einen Prozess der Beteiligung in Gang setze, werde bei der Einwohnerschaft später keine Akzeptanz für die nötige Maßnahmen haben. „Aber dafür gibt es kein Patentrezept. Da muss jede Kommu-ne ihren eigenen Weg finden.“

 

Diesen Weg sieht Spec im Projekt „Zukunftswerkstatt Ludwigsburg“. Auch er will die Bevölke-rung stärker als bisher beteiligen, aber das in den gewohnten Strukturen. Bei zahllosen persönli-chen Gesprächen mit BürgerInnen, Vereinen und Initiativen versuche er die Einwohnerschaft mit in die Verantwortung für diese Stadt zu nehmen. Spec sieht sich bürgernah und offen: „Der Bür-ger ist das größte Kapital, das wir haben“. Entscheidend sei das Ergebnis. Für Broschüren, Be-fragungen etc. habe er aber nichts übrig.

 

Der Diskussion auf dem Podium schloss sich noch eine rege Fragerunde mit den BesucherInnen an. Von dort wurden die Informationen und die Diskussion als gut und wichtig befunden und man hoffe ,dass diese Veranstaltung ein Anstoß für weitere Überlegungen sei.

 

Moderatorin Roswitha Matschiner meinte abschließend, dass sie die „Gendersensibilität“ bei Verwaltung und Gemeinderat zwar noch nicht sehe. „Dafür ist in Ludwigsburg die Zeit noch nicht reif. Die Diskussion hat aber gezeigt, dass man auch in Ludwigsburg noch mehr tun muss, um BürgerInnen und Bürger stärker in eine nachhaltige Stadtentwicklung einzubeziehen. Das Projekt Zukunftswerkstatt bietet hier eine Chance, die wir – Stadtverwaltung und Gemeinderat – nutzen sollten“.

 

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