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Umgang mit Schadstoffen im Bildungszentrum West in den letzten Jahren

Brief an Herrn OB Spec

Ludwigsburg, 24.04.2014

 

Schadstoffbelastung in den Räumen des Bildungszentrums West

 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Spec,

 

mit Schreiben vom 17.04.2014 hat Herr Bürgermeister Ilk meine Anfrage vom 17.03.2014 zur Schadstoffbelastung im Bildungszentrum West beantwortet. Er hat dieser Antwort das Schreiben des Fachbereichs Hochbau und Gebäudewirtschaft an die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten der Schülerinnen und Schüler der Gottlieb-Daimler-Realschule und des Otto-Hahn-Gymnasiums vom 15.04.2014 sowie das Schreiben des Landratsamts Ludwigsburg, Fachbereich Gesundheitsschutz, vom 10.02.2010 beigefügt.

 

Zentrale Aussagen des Fachbereichs Hochbau und Gebäudewirtschaft im Elternbrief sind, es gebe keinen Grund, von einer gesundheitlichen Belastung oder Gefährdung der Kinder auszugehen; dies habe auch die Stellungnahme des Landratsamts Ludwigsburg nach umfangreichen Messungen ergeben. Messungen im Normalbetrieb hätten keine Werte ergeben, die über den Richt- bzw. Grenzwerten lägen.

 

Daraus ergeben sich einerseits neue Fragen
und andererseits die Feststellungen, dass die Stadtverwaltung offenbar für wesentliche Unterlassungen
- sowohl bei der Informationsweitergabe an Betroffene
- als auch bei vorbeugenden Maßnahmen zum Gesundheitsschutz verantwortlich ist.


Weiter ist festzustellen, dass die Stadtverwaltung mit ihrem jetzigen Schreiben vom 15.04.2014 an die Eltern der Schülerinnen und Schüler der betroffenen Schulen ihre Versäumnisse verschweigt, die gemessenen Werte nicht nennt, sondern pauschal verharmlost, und die Elternschaft beschwichtigt.

 

Fragen:

Wann wurden die Ergebnisse der Schadstoffuntersuchungen aus 2009 und 2010 dem zuständigen Betriebsarzt zur Beurteilung in dessen Zuständigkeit vorgelegt? (Empfehlung des Landratsamts im Schreiben vom 10.02.2010, vorletzter Absatz)

 

Wurde den Schulen die Stellungnahme des Landratsamts, Fachbereich Gesundheitsschutz, vom 10.02.2010 unmittelbar nach dieser Stellungnahme weiter gegeben? Wurden die Schulen zur Aufstellung und Durchführung eines intensiven Lüftungs- und Entstaubungsplans verpflichtet?

 

Sind die Aussagen der Stellungnahme des Landratsamts, Fachbereich Gesundheitsschutz, vom 10.02.2010, nur dem städtischen Fachbereich Hochbau und Gebäudewirtschaft bekannt geworden oder auch dem Baubürgermeister und/ oder dem Oberbürgermeister, dem Fachbereich Bildung, Familie, Sport und dem Ersten Bürgermeister?

 

Warum wird der Gemeinderat erst jetzt nach intensiver Nachfrage über die Stellungnahme und Empfehlungen des Landratsamts aus dem Jahr 2010 informiert? Warum hat die Stadtverwaltung trotz der Auskunft gegenüber dem Landratsamt, eine Generalsanierung sei für ca. 2017 geplant, noch in den Entwurf der laufenden Finanzplanung keinerlei Haushaltsmittel zur Sanierung in den Jahren 2016 und 2017 eingestellt? Warum erachtet die Verwaltung die Sanierung des Bildungszentrums West erst als Priorität erster Ordnung, nachdem seitens der Elternschaft der betroffenen Schulen und seitens des Gemeinderats Fragen zur Schadstoffbelastung gestellt werden?

 

Wer trägt die Verantwortung dafür, dass die dringenden Empfehlungen des Landratsamts zum Gesundheitsschutz im Bildungszentrum West und zur Information der Elternschaft seit vier Jahren nicht umgesetzt wurden und dass der Gemeinderat über die Lüftungsauflagen und Sanierungsnotwendigkeit bis ca. 2017 vier Jahre lang nicht informiert wurde?



Feststellungen:

In seiner Stellungnahme vom 10.02.2010 empfiehlt das Landratsamt, Fachbereich Gesundheitsschutz, der Ludwigsburger Stadtverwaltung, die Eltern von Otto-Hahn-Gymnasium und Gottlieb-Daimler-Realschule über die Untersuchungsergebnisse der Messungen zu informieren. Diese Information an die Eltern hat die Ludwigsburger Stadtverwaltung in den vier Jahren Schuljahren seither unterlassen. Damit wurden den Eltern von zahlreichen Schülerinnen- und Schüler-Jahrgängen in unverantwortlicher Weise die Entscheidungsgrundlagen vorenthalten, ob sie angesichts von Schadstoffbelastungen im Grenzwertbereich ihre Kinder über Jahre hinweg in diese Gebäude schicken wollen.

 

Kern der Stellungnahme des Landratsamts, Fachbereich Gesundheitsschutz, vom 10.02.2010 ist die Aussage, dass sich aus den bisherigen Untersuchungen keine konkreten Gesundheitsgefahren ergeben, wenn die zuvor genannten Empfehlungen umgesetzt werden.

Diese Empfehlungen sind insbesondere die intensiveregelmäßige Lüftung und Entstaubung:
-  „…wird dringend empfohlen, in beiden Gebäuden die regelmäßige Lüftung, d.h. in Klassenräumen mindestens Stoßlüftung nach jeder Unterrichtsstunde und rechtzeitige ausgiebige Lüftung vor Unterrichts- und Arbeitsbeginn, sicher zu stellen.“
- „… im Gymnasium … sollte überprüft werden, ob die Belüftung z.B. durch längere Belüftungszeiten  oder durch Querlüftung intensiviert werden kann. Zumindest im Sommerhalbjahr kann dann auch während der Schulstunden gelüftet werden.“
- „Zumindest muss eine Verminderung der PCB-Konzentration z.B. durch regelmäßiges Lüften sowie durch gründliche Reinigung und Entstaubung der Räume angestrebt werden.“

 

Die genannten Empfehlungen wurden in den vier Jahren seither offenbar nicht umgesetzt. Denn in den jetzigen Schreiben der Stadtverwaltung finden sich nur die Aussagen,
- es sei die Lüftungsanlage der (um einen früheren asbesthaltigen Brennofen) umliegenden Räume verbessert worden,
 - wichtig sei eine regelmäßige Lüftung der Räume, wie sie selbstverständlich sein sollte,
- am Elternabend am 19.03.2014 sei deutlich geworden, dass das Lüften besser organisiert werden müsse – die Hausmeister seien darin ebenso einbezogen wie Lehrerinnen und Lehrer.

 

Die Verwaltung hat es offenbar vollständig versäumt, den dringend empfohlenen intensiven Lüftungs- und Entstaubungsplan aufzustellen und durchzuführen. Offenbar meint sie, für ausreichende Lüftung hätten die Schulen von sich aus sorgen können und müssen. Dies aber haben die Schulen von sich aus nicht geleistet, wohl auch nicht leisten können. Im Ergebnis müssen laut der Kernaussage der Landratsamt-Stellungnahme wohl konkrete Gesundheitsgefahren für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler der beiden Schulen befürchtet werden, da die dringenden Lüftungs- und Entstaubungsempfehlungen vier Jahre lang ignoriert wurden.

 

Das Landratsamt hatte seine Einschätzung „keine konkreten Gesundheitsgefahren bei Umsetzung intensiver regelmäßiger Lüftung und Entstaubung“ aber noch unter den Vorbehalt gestellt, dass auch bei sommerlichen Temperaturen mit entsprechender Lüftung der Richtwert für Formaldehyd eingehalten werden könne. Daher hatte das Landratsamt Formaldehyduntersuchungen im Sommerhalbjahr bei höheren Außentemperaturen empfohlen. Solche Untersuchungen hat die Stadtverwaltung jedoch in den vier Jahren seit der Stellungnahme nie vornehmen lassen. Daher kann sich die Stadtverwaltung bei ihrer Behauptung „keine gesundheitliche Belastung oder Gefährdung der Kinder“ erst recht nicht auf das Landratsamt berufen: Weder wurde intensiv belüftet und entstaubt noch wurden Schadstoffmessungen im Sommer vorgenommen.

 

Die im Jahr 2009 gemessenen Formaldehydwerte zeigen laut Landratsamt-Stellungnahme, dass bei schlechter Belüftung der  Räume Richtwertüberschreitungen vor allem im Gymnasium möglich sind, wobei Beurteilungsunsicherheit bezüglich der Formaldehydkonzentrationen bei höheren Außentemperaturen im Sommerhalbjahr besteht. Tatsächlich ist der Richtwert von 0,12 mg/m3 im Otto-Hahn-Gymnasium am 14.04.2009  (ohne Belüftung Formaldehydkonzentrationen zwischen 0,111 und 0,143 mg/m3; im KlassenraumA 102 0,131 mg/m3) und am 12.08.2009 (im Rektorat ohne Belüftung 0,171 mg/m3) überschritten worden. In der Realschule wurde der Richtwert am 12.08.2009 im Klassenraum B213 ohne Belüftung mit 0,118 mg/m3 so gut wie erreicht.


Da in den Schulen kein rigider Lüftungsplan umgesetzt wurde und Messungen bei sommerlichen Temperaturen unterblieben, muss befürchtet werden, dass Schüler und Lehrer seither des öfteren Formaldehydbelastungen ausgesetzt waren, die den Richtwert überschritten haben.

 

Die in den Jahren 2009 und 2010 gemessenen PCB-Raumluftwerte zeigen laut Landratsamt-Stellungnahme PCB-Kontaminationen in beiden Schulen, wobei der Vorsorgewert von 300 ng/m3 bei Messungen ohne Belüftung am 14.04.2009 in der Realschule mit Werten bis zu 396 ng/m3  und im Gymnasium mit bis zu 428 ng/m3 überschritten wurde. In der Realschule (Raum B202) wurde im Januar 2010 sogar unter normalen Lüftungsbedingungen mit 305 ng/m3 der Grenzwert überschritten.

Also muss auch bei den PCB-Konzentrationen für die vergangenen Jahre eine häufige Grenzwertüberschreitung befürchtet werden, da die Empfehlung zu intensiver Lüftung, Reinigung und Entstaubung nicht umgesetzt wurde.

 

Da muss es Verharmlosung und Beschwichtigung genannt werden, wenn jetzt am 15.04.2014 die Stadtverwaltung den aktuellen Schülereltern versichert, es gebe keinen Grund, von einer gesundheitlichen Belastung oder Gefährdung der Kinder auszugehen. Eine gesundheitliche Belastung mit den Schadstoffen steht außer Frage; eine Gefährdung ergibt sich offenbar durch die unterlassene sorgfältige Belüftung, Reinigung und Entstaubung. Wenn die Verwaltung weiter behauptet, es hätten sich „im Normalbetrieb“ keine Werte ergeben, die über den Richtwerten lägen, so meint „Normalbetrieb“ offenbar die intensive sorgfältige Lüftung, Reinigung und Entstaubung, deren Umsetzung die Stadtverwaltung unterlassen hat. Und selbst dann ist diese Behauptung unwahr, da die PCB-Belastung in Raum B202 der Realschule jedenfalls im Januar 2010 sogar unter normalen Lüftungsbedingungen den Grenzwert überschritten hat.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 


Michael Vierling

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