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Redebeitrag Dr. Michael Vierling, TOP1 Nachtragshaushalt 2020, Gemeinderat 28.07.20

Redebeitrag Dr. Michael Vierling zu TOP1 "Nachtragshaushalt 2020", Gemeinderat 28.07.20

 

Das Land stattet die Kommunen mit seinem Corona-Hilfspaket großzügig finanziell aus, allein mehr als 1 Mrd. €, um Gewerbesteuerausfälle zu kompensieren – es lohnt sich also für die Städte und Gemeinden, eine grün geführte Landesregierung und eine grüne Finanzministerin zu haben.


Aber es stehen einfach weniger Mittel zur Verfügung als gedacht – wir können im Jahr 2020 unser Ausgabenniveau nicht unverändert aufrecht erhalten. Corona und Lockdown haben die städtische Einnahmenbasis schwer beschädigt – Gewerbesteuer, Einkommensteuer, Elternbeiträge – da können wir nicht im gleichen Maß zusätzliche Kredite aufnehmen wie wir Steuer- und Beitragseinnahmen verlieren – an Einsparungen führt also kein Weg vorbei. Und zur Wahrheit gehört auch – Das nächste Jahr 2021 bringt uns auch nicht auf das alte Einnahmenniveau zurück – da kommen wir an Einschnitten bei den Ausgaben nicht vorbei.


Und in solchen Zeiten zeigt sich um so mehr die politische Programmfunktion des Haushaltsplans – was ist verzichtbar, was ist weniger wichtig, so dass hier eingespart werden kann - und umgekehrt: was ist uns in der Krise besonders wichtig, so dass wir sogar mehr dafür ausgeben müssen.


Da braucht es einen politischen Kompass, da müssen wir bereit sein für politische Prioritäten: Vorrang haben Ausgaben für eine solidarische Stadt, für eine Stadt, die sich auf die Seite der Schwächeren stellt, damit alle teilhaben können an unserer Stadtgesellschaft. Also müssen für uns Einsparungen bei den Einkommens- und Bildungs-Ärmeren tabu bleiben. Ich kann hier nicht erkennen, dass Eltern von Kindergartenkindern ein gutes Einspar-Potenzial wären. Vielmehr ist es ein richtiger Ansatz, immerhin Eltern mit niedrigen bis mittleren Einkommen auch künftig von Beitragserhöhungen auszunehmen.


Und weiter ganz vorn in der politischen Prioritätenskala: Klimaschutz in der Stadt. Die Klimakrise trifft uns jedes Jahr stärker, sie trifft die Menschheit existenziell. Die Mehrheit der Bevölkerung ist überzeugt: Die langfristigen Auswirkungen der Klimakrise sind gravierender als die Corona-Auswirkungen. Corona zeigt: Wir können unser Verhalten anpassen, wenn es nötig ist. Da werden wir uns doch auch zumuten können, zu einem klimagerechteren Verhalten zu finden. Wenn wir die Klimakatastrophe noch verhindern, immerhin abschwächen wollen, dann müssen wir auf allen Ebenen rasche und wirksame Maßnahmen ergreifen - auch auf unserer Ebene der Stadt.


Leider hat unser Integriertes Klimaschutz- und Energiekonzept keinen guten Start gehabt. Die CDU hat es gar nicht beschließen wollen. Ein Fahrplan für die Umsetzungsmaßnahmen fehlt. Das Ludwigsburger Klimabündnis ist seit dem Weggang von Bürgermeisterin Niessen nicht mehr aktiv. Wann wird sich endlich die Erkenntnis durchsetzen: Klimaschutz ist Vorrang-Aufgabe, macht Zukunft erst möglich und braucht daher mehr Investition.


Insofern sind die Einsparungen, die wir in diesem Jahr treffen, nur der Auftakt zu einer grundlegenden Richtungs-Auseinandersetzung. Wir haben für dieses Jahr eine Erhöhung der KiTa-Beiträge verhindern können. Wir erstatten Kultur- und Sportvereinen nach wie vor die notwendigen Ausgaben. Die Corona-Schließzeiten haben dort in der Regel auch dazu geführt, dass der Aufwand der Vereine geringer war, so dass die zehnprozentigen Kürzungen insgesamt in Ordnung gehen. Die Ludwigsburger Schlossfestspiele mussten dieses Jahr so gut wie ganz ausfallen. Da sind die weit über 600.000 € Zuschuss, die wir in diesem Jahr immer noch zahlen, ein überdeutliches Signal: Ludwigsburg braucht diese Festspiele, wie sie Jochen Sandig vertritt: Festspiele für alle in der Stadt, auch für die in schwierigen Lebens- und Wohnverhältnissen, also Festspiele mit stadtpolitischer Relevanz.


Und so bin ich beim Thema Kultur und Sport angekommen. Das sind keine Sparschweine, die man in finanziell schwierigen Zeiten schlachten kann. Vielmehr kommt es darauf an, dass sie in ihrer Funktion für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gestärkt werden. Da brauchen wir ganz dringend Kulturimpulse, insbesondere Musikimpulse, damit Kinder und ihre Familien Lebenswelten entdecken, die einher gehen mit Kreativität, Phantasie, Verantwortlichkeit, Differenzierung, Persönlichkeitsstärkung. Und da brauchen wir eine Jugendarbeit der Sportvereine, die einer größeren Zahl von Kindern und Jugendlichen als bisher Angebote machen kann, auch denjenigen, die nicht zu Spitzensportlern und Leistungssportlern heran reifen.


Die beste Maßnahme, dass uns junge Menschen nicht verloren gehen und Steine und Flaschen auf Polizisten werfen, ist, ihnen im kulturellen und sportlichen Umfeld eine Heimat zu bieten -  eine Heimat, die Gemeinschaft, wechselseitige Unterstützung und Hochachtung bietet. Darin wollen wir doch den tieferen Sinn von Vereinsförderung erkennen. Das ist doch das Förderkriterium, das in Zukunft im Vordergrund stehen muss.


Wo sparen wir denn dann ein? Wir brauchen interkommunale Zusammenarbeit im ganz großen Stil. Digitalisierung bietet uns dabei nie dagewesene Chancen. Digitalisierung muss zum Treiber für interkommunale Zusammenarbeit werden. Auch unsere Umland-Kommunen leiden wie wir unter der Einnahmenschwäche. Da muss im laufenden Verwaltungsgeschäft, bei technischen Diensten, bei der Feuerwehr, bei der Bäderlandschaft viel mehr zusammengelegt werden. Spezialisierung einer Stadt auf eine Aufgabe und Spezialisierung der Nachbarstadt auf eine andere ermöglicht Größenvorteile für beide Seiten. Freiwillig geht da zwischen den Kommunen offenbar nicht genug. Ich kann den Bürgerinnen und Bürgern nur raten, dass sie verlangen, dass Aufgaben lieber zwischen den Kommunen gebündelt werden statt dass sie ganz abgebaut werden. Die Finanznot macht da neue Bündnisse nötig.


Gleichzeitig werden wir schon im nächsten Jahr nicht an Steuer- und Gebührenerhöhungen vorbei kommen können – nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip wird es darum gehen müssen, dass dort wo wirtschaftlicher Erfolg erzielt wird, eine gewisse Mehrbelastung zumutbar ist.


Über die Verschiebung investiver Maßnahmen aus diesem Jahr ins nächste Jahr haben wir nicht sehr intensiv diskutiert. Lassen Sie mich nur das Bildungszentrum West als ein besonders wichtiges Beispiel heraus greifen. Hier können wir es uns demnächst nicht mehr länger leisten, den Neubau immer weiter hinaus zu schieben. Da schulden wir uns schnelle Realisierungs- und Finanzierungskonzepte.


Insgesamt bedanken wir uns bei der Kämmerei für die intensive Arbeit am Nachtragshaushalt – er verschafft uns einige Monate lang Luft zum Atemholen für die schwierigen Haushaltsberatungen für das Jahr 2021.

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