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Überlegungen zur Schutzranzen-App aus Sicht einer Schulsozialarbeiterin

Zum einen assoziiert die Bezeichnung Schutzranzen-App die Zuwendung zum modernen, allzeit vernetzten Alltag. Zum anderen wird man an ein „Ränzlein“, das die Urgroßväter und Großväter der Zielgruppe trugen, erinnert. Nur – es ist nicht das harmlose Ränzlein gemeint, sondern die App ist eine hungrige Datensammelkrake. Das macht den Eltern der Zielgruppe nicht viel aus, sie sind die Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist und womöglich schon im „smart home“ wohnt:
Der Herd wird per Handy angeschaltet, so dass das Kind nach der Schule zuhause eine warme Mahlzeit vorfindet. Die IT-Technik im Familienauto ruft sogleich die Leitstelle des DRKs an, wenn ein Airbag aufgeht. Das Kind kann bereits jetzt geortet werden, wenn es sein Smartphon dabei hat.
Das Gerät wird wieder gefunden, sollte es das Kind achtlos auf dem Spielplatz liegen lassen. Natürlich speichert die App, wie oft und wie lange sich das Kind im irischen Feinkost-Imbiss aufhält. Mit viel Aufwand lässt sich die Aufzeichnung des Bewegungsprofils auch vermeiden, ist aber nicht mehr sinnvoll, wenn man das Kind vor zu schnell fahrenden Autos schützen will. Ein trügerischer Schutz und noch nicht ganz ausgereift, schon gar nicht, wenn die Technik nicht in allen Autos vorhanden ist. Gibt es Eltern, die wirklich an diesen Pseudo-Schutz glauben? Der Glaube erleichtert das Leben - das Schulwegetraining mit dem Kind ist wahrscheinlich aufwendiger und anstrengender umzusetzen. Aber es müsste sich auch lohnen. Die Schulwege in unserer Stadt sind beileibe nicht alle sicher und überschaubar: zu viele fahrende und parkende Autos, die für Kinder große Hindernisse darstellen. (Grundschulkinder behaupten z.B., dass ein Auto schnell fährt, wenn sie es in letzter Minute erblicken, obwohl das Auto nur Schritttempo gefahren ist.) Unsere Radwege
sind nicht richtig ausgebaut und zu oft von breiten Autostraßen zerschnitten. Zu viele Fußwegeverbindungen sind ebenfalls verbesserungswürdig. In einer vom Auto dominierten Stadt wie der unseren, wird man die Sicherheit, die sich Eltern inzwischen wünschen, schwer erreichen. Es sei denn, der laufende Mensch bekommt mehr sicheren Raum, mehr Unabhängigkeit, mehr Beachtung. Das betrifft auch die Generation der Großeltern, die demnächst nicht mehr mit dem Auto fahren wollen oder gar nicht mehr fahren können.
Wie drückt es der ehemalige Bürgermeister von Bogota, Enrique Penalosa, aus: „Ob eine Stadt zivilisiert ist, hängt nicht davon ab, dass es Autobahnen gibt, sondern davon, dass ein Kind auf einem Rad überall unbeschwert hinkommt.“ Von sicheren und unbeschwerten Wegen sind wir in Ludwigsburg noch weit entfernt, von dem Einsatz der Schutzranzen-App offensichtlich nicht….

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